Hochsommer, Hochgefühle, Hochspannungrock-im-park

Rock Im Park und Rock Am Ring sind eine Institution: Zum ersten Mal lief das weltweit bekannte Zwillings-Festival über satte vier Tage, in denen über 100 Bands auftraten. Hinzu kamen extreme Temperaturen von bis zu 35 Grad, die den Party-Marathon zusätzlich aufpolierten. Wir waren zu Gast und berichten euch hier von all den Superlativen, die es rund um das Nürnberger Zeppelinfeld zu sehen und zu hören gab.

Freitag, 06.06.

Nürnberg, 25 Grad. Die Frisur sitzt. Zum Auftakt des Rock Im Park ging es entspannt los, denn es spielten „nur“ sechs Bands, die Highlights sämtlich auf der Centerstage: IN EXTREMO, ALTER BRIDGE, AVENGED SEVENFOLD und METALLICA. Stilistisch war die Mischung also gut komponiert, sodass man den gesamten Abend entspannt vor der Hauptbühne verbringen konnte. Viel muss man zu diesen Top-Truppen nicht mehr sagen, hier ist Qualität vorprogrammiert.

Die alten Hasen von IN EXTREMO und METALLICA waren natürlich nicht zum ersten Mal Gast auf dem Festival und hatten so die Menge sicher im Griff. Die Bombast-Shows sind zwar sehr beeindruckend, jedoch wenig überraschend. Nach so vielen Jahren Bandgeschichte bleibt den Musikern nichts anderes, als die üblichen Klassiker runterzuspielen und das Schema F zu fahren. Da ist es schon beeindruckend, wie Hetfield und Co. noch mit so viel Leidenschaft dabei sind. Ein durch und durch gelungener Auftakt für die folgenden Festivaltage.

Samstag, 07.06.

Nürnberg, 30 Grad. Die Frisur sitzt nicht mehr. Die wenigen mutigen Zuschauer braten in der Mittagssonne vor der Alternatstage, die meisten jedoch lassen sich in ihren Zelten schonend garen. Passend zur drückenden Hitze spielen THE BRIAN JONESTOWN MASSACRE ihre leicht verschlafenen, psychedelischen Indie-Rock-Arrangements auf und sorgten für chillige Stimmung. Der harte Kontrast dazu folgte mit den FRATELLIS, die in diesem Jahr mit ihrem dritten Album „Medicine“ wieder zu alter Form aufgelaufen sind. Dementsprechend sah auch die Setlist aus: Viele der aktuellen Tracks, zum Glück nichts vom gefloppten zweiten Album „Here We Stand“, stattdessen alle Klassiker wie „Henrietta“, „Whistle For The Choir“ und natürlich „Chelsea Dagger“. Letzterer ist für die Band inzwischen das, was „Seven Nation Army“ für die WHITE STRIPES ist: Ein hymnischer Song, der Menschen vereint und die Party steigen lässt. Etwas ruhiger wurde es im Anschluss wieder bei PORTUGAL, THE MAN. Die Band hat eine unheimlich hohe Release-Frequenz, satte acht Studioalben und fünf EPs seit der Gründung im Jahr 2004. Die quietschig-hohe Stimme von John Gourley schnitt durch die dicke Luft und definierte die Songs glasklar.

Indes wüteten in der Clubstage die Japaner CROSSFAITH. Die interessante Mischung aus elektronischen Stilmitteln und Metal, neudeutsch als Trancecore zu bezeichnen, kam beim Publikum erstaunlich gut an. Der Moshpit war beinah unaufhörlich in Bewegung. Bei dem Song „Omen“ durfte die Band dann Zeuge eines relativ neuen Trends werden – der heißt Rowing Pit. Der Ursprung scheint der Auftritt der nordischen Viking-Metal-Band AMON AMARTH beim Wacken 2013 zu sein, bei dem sich die Fans plötzlich in mehreren Reihen auf den Boden setzten und (wie der Name verrät) zu Rudern beginnen. Das sieht nicht nur spektakulär aus, sondern macht auch einen Heidenspaß. CROSSFAITH genossen die Action und bedankten sich aufrichtig beim Publikum für die Anerkennung. MISS MAY I und ARCHITECTS führten den Nachmittag stilistisch ähnlich fort und zündeten dicke Metalcore-Granaten auf der Bühne. Bisweilen war zwar der Gitarrensound etwas matschig, jedoch tat das der Stimmung keinen Abbruch.

rip-editorsAuf dem Weg zurück zur Alternastage war in der Ferne REA GARVEY zu hören, wie er seine größten Hits á la „Supergirl“, „Can´t Stand The Silence“ oder „Star“ dahinsülzte. Da MANDO DIAO parallel spielten, war der Platz bei EDITORS leider relativ leer – denn auch die Jungs um den exzentrischen Tom Smith haben sich nach längerer Abstinenz mit einem fantastischen Album zurückgemeldet. „The Weight Of Your Love“ funktioniert nicht nur auf Platte erstaunlich gut, sondern auch live. Songs wie „A Ton Of Love“, „Sugar“ oder „Formaldehyde“ lassen sich prima mitsingen und tanzbar sind sie auch noch.

Die letzte Station des Abends war letztlich doch noch die Centerstage. Hier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Wo 2008 lediglich ein Wellenbrecher aufgebaut wurde, sind es heute sogar drei. Auf den ersten Blick ist das eher nervig, doch kennt man das riesige Zeppelinfeld, macht das mehr Sinn. Zum einen werden die Bereiche in Bühnennähe stärker entlastet, sodass kein unerträgliches Gedränge entsteht. Außerdem können die Sicherheitskräfte besser eingreifen, denn besonders bei so extremen Temperaturen kommt es öfter vor, dass vereinzelt völlig dehydrierte Zuschauer umklappen. In diesem Sinne ein großes Lob an die Organisation.

Mit KINGS OF LEON endete der Festivaltag auf der Hauptbühne. Über die Familie Followill muss man seit „Sex On Fire“ und „Use Somebody“ nicht mehr viele Worte verlieren: Vom Rock´n´Roll der ersten beiden Alben ist nicht mehr viel übrig geblieben, und so spielte die Band sämtliche Weichspül-Klassiker quer durch die Diskografie. Die Stimmung war dennoch grandios und wurde insbesondere durch die berauschende Bühnentechnik unterstützt. Jedoch wirkten KINGS OF LEON zum Teil etwas unpersönlich und leidenschaftslos. Die Fans des alten Shit hatten zumindest ein paar Schmankerl bekommen, als „Mollys Chambers“, „Four Kicks“, „Taper Jean Girl“ oder „The Bucket“ liefen. Alles andere war eher Musik für die Mädchen, die zu dutzenden auf den Schultern ihrer Freunde hockten.

Sonntag, 08.06.

Nürnberg, 35 Grad. Sitzen. Viel mehr bleibt den Leuten auf dem Gelände nicht übrig, denn die Mittagssonne sägt sich durch kalkweiße Kaukasierhaut wie ein Steakmesser durch Gänseküken. Erst am späten Nachmittag werden alle Stages mit Menschen geflutet, so auch bei ALLIGATOAH auf der Hauptbühne, der im letzten Jahr einen beispiellosen Aufstieg machte. Vor allem seine herrlichen Lyrics und die verspielte Show machten den Gig äußerst unterhaltsam – perfekte Musik für heißes Wetter, auch wen man nicht zwingend auf Populär-Rap steht.

Die Clubstage war indes nicht so gefüllt wie am Tag zuvor, denn es spielten nun mehr Indiebands als abgefahrene Metalcore-Combos. Dazu zählen etwa auch TEESY, die seichten Indie-Pop mit deutschen Vocals spielten. Die Bühnenoutfits hatten zwar Stil, die Songs kamen jedoch nicht so gut an – oft waren die Arrangements antiklimaktisch strukturiert, sodass die Jungs erst große Spannung aufbauten, nur um den Hörer dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen und einen scheinbar zusammenhangslosen Part zu spielen. Direkt im Anschluss rockten dann WE ARE SCIENTISTS, die man nach diesem Gig getrost als die besseren ARCTIC MONKEYS bezeichnen kann. Letztere dödelten auf den vergangenen drei Alben nur noch mit gemütlichem 60er-Rock durch die Gegend, während WE ARE SCIENTISTS mit knackigen Tracks wild um sich schießen. Das Trio war hervorragend aufeinander abgestimmt: Drummer Andy Burrows ist auf der Bühne ein Tier, Sänger Keith Murray hatte das Publikum im Griff und Basser Chris Cain hüpfte wie Flubber durch die Gegend. Klarer Favorit des Tages.

Auch die Alternastage durfte an diesem Tag nicht fehlen, denn SLAYER waren zu Besuch – witziger Weise noch als „Vorband“ von ROB ZOMBIE. Als der vollbärtige Tom Araya schweigend auf die Bühne stapfte, ging das Höllenfeuer auch alsbald los. Mit „Raining Blood“ eröffneten SLAYER das Set, doch der richtig große Moshpit startete erst bei „War Ensemble“. Vor dem Song starrte Araya mit einem großväterlichen, zufriedenen Grinsen in die Menge, als sich die Wall Of Death vor ihm aufbaute. Dieser Blick, er war voller Stolz. Beim letzten Song „Angel Of Death“ fiel das erste Backdrop herunter und gab den Blick frei auf eine Ehrung Jeff Hannemans. Die Grafik erinnerte an ein niederländisches Bier-Ettikett und war mit den Worten „angel of death / still reigning / 1964-2013“ umrahmt. Eine angemessene Art, eine Legende zu würdigen!

Direkt im Anschluss schlurfte ROB ZOMBIE auf die aufwändig dekorierte Bühne und eröffnete das Set mit dem unheimlich arrogant wirkenden, jedoch passenden Song „We´re An American Band“. Gepaart mit den zerlumpten Outfits, Dracula-Mikroständern und Monsterfratzen auf der Bühne wirkte es wie eine einzige Parodie der amerikanischen Mainstream-Kultur – eine Spezialität von ROB ZOMBIE. Danach ging es mit den Klassikern „Superbeast“ und „Living Dead Girl“ weiter. Immer wieder pusht ROB die Menge durch bewusst übertriebene Posen. Zwischendurch nahm er noch kurz die Bühne auseinander und verrückte die erhöhten Plattformen, damit er dazwischen hin und her hüpfen kann wie ein Wahnsinniger. Selbst ruhigere Nummern wie „House Of The 1000 Corpses“ funktionierten live überraschend gut, auch wenn er seinen Einsatz etwas verpasste. Insgesamt war die Show von ROB ZOMBIE akustisch und visuell hervorragend. Stichwort: Telecaster mit grün leuchtendem Glibber im Korpus.

Für eine kleine Überraschung sorgte inzwischen noch SDP, die sich selbst als „die bekannteste unbekannte Band der Welt“ bezeichnet – zu Recht! Zwar wurde das Duo hier nur auf die kleinste Bühne losgelassen, jedoch war die Halle der Clubstage zum Zerbersten gefüllt. Die Ordner mussten sogar die Zuwege abriegeln, da keine Menschen mehr in die Halle passten. STONEDEAFPRODUCTION vermischen Hip-Hop, Reggae und Pop geschickt miteinander und rotzen gewiefte Lyrics am Laufband raus. Die Show war der Burner und ein perfekter Rausschmeißer für den Abend.

Montag, 09.06.

Nürnberg, 30 Grad. Staub sitzt in der Lunge fest. MAXIMO PARK haben viele neue Songs mitgebracht und bewegten die trägen Menschenmassen. Am besten gingenrip jedoch die Lieder vom 2007er-Album „Our Earthly Pleasures“, die der sympathische Paul Smith mit Inbrunst vortrug. Der Gig war insgesamt jedoch eher durchschnittlich. Für etwas mehr Action sorgten NEW POLITICS auf der Clubstage. Das Kopenhagener Trio überzeugte durch poppigen Alternative mit Rapeinlagen, schlagkräftige Drums und tolle Stimmharmonien. Die Band ist spürbar unverbraucht und drehte mit den Singles „Harlem“ und „Dignity“ voll ab – inklusive wilder Breakdance-Einlagen von Sänger David Boyd. Selbst als die Crew die NEW POLITICS wegen Zeitdrucks von der Bühne verscheuchen will, prügelten sie zum Abschluss einfach noch den Dauerbrenner „Yeah, Yeah, Yeah“ durch die Speaker. Fuckin´ Rock´n´Roll!

Wenig später folgte eine Truppe, die lange in der Versenkung verschwunden war: CRAZY TOWN. Einst ganz groß, wurden sie hier auf die kleinste Bühne verbannt – ebenfalls zu Recht. Die Halle war zwar brechend voll, jedoch quälten sich die meisten Gäste nur durch das Konzert, um „Butterfly“ zu hören. Besser gesagt: Um zu filmen, denn plötzlich gingen hunderte Handybildschirme an. Den Song spielte die Band als vorletztes. Danach leerte sich die Halle schlagartig und CRAZY TOWN standen quasi auf verlorenem Posten. Die Jungs um Shifty Shellshock und Epic Mazur haben zwar alles gegeben und gut gespielt, jedoch sind sie mit ihrem Crossover zu sehr in den 90ern hängengeblieben. Leider nicht auf die gute Weise. Ganz anders lief es für SEETHER: Zwar fanden nicht so viele Gäste den Weg zur Clubstage, doch die Qualität des Publikums war wesentlich höher. Fast jeder konnte Hits wie „Broken“ oder „Gasoline“ mitsingen, die Luft knisterte förmlich. Doch auch Songs vom neuen Album „Isolate and Medicate“ kamen erstaunlich gut an, denn die Band ist sich treu geblieben. Und zwar auf die gute Weise.

Den Abschluss des Festivals bildete für viele Gäste MARTERIA auf der Alternastage. Der rappende Hanseat ist seit seinem Hit „Kids (2 Finger an den Kopf)“ im ganz großen Business angekommen und füllte so den Platz spielend. Dennoch ist er am Boden geblieben und pflegt seine Bühnenrituale mit nordischer Gelassenheit. Das Set eröffnete er mit „OMG!“, dessen Beat selbst die großen Kameras massiv zum vibrieren brachte. Auch sein kiffendes Alter Ego MARSIMOTO, für das sich die komplette Band grün anzieht, durfte nicht fehlen. Bei „Grüner Samt“ gingen traditionell mehrere grüne Rauchbomben im Publikum los – leider musste die Security ihren Job machen und die „Übeltäter“ aufgreifen. Zurück als MARTERIA machte er der Menge „Feuer“ unterm Arsch. Das komplette Publikum soll sich hier auf den Boden setzen und nach dem Countdown aufstehen und springen. Mission erfüllt! Die „letzten 20 Sekunden“ laufen bei MARTERIA dann immer gleich ab: Ein bombastischer Beat wummert für ein paar Takte durch die Anlage und alle hüpfen durch die Kante. Diese 20 Sekunden zieht MARTERIA jedoch bis zu zehn Mal hintereinander durch, mit immer neuen Ansagen dazwischen. Dieses Mal zogen unzählige Menschen ihre Shirts aus und warfen sie bereitwillig in die Luft, auf nimmer Wiedersehen. Egal, ob MARTERIA Mainstream ist oder nicht, dieser Typ hat die Fans verstanden. Ein feiner Kerl, eine geile Party, ein perfekter Abschluss.

Am gesamten Wochenende fiel nicht ein einziger Tropfen Wasser vom Himmel, Wolken waren ein seltenes Naturschauspiel. Besseres Festivalwetter kann man nicht bekommen. Das Event war bestens durchorganisiert, bot jedoch genügend Raum für Party und Chaos. Chapeau!