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JUST TWO MORE BOOKS ABOUT THE SEX PISTOLS?

Bücher zum Thema SEX PISTOLS gibt es weit mehr als ausreichend – was die Relevanz dieser Ausnahmeband nochmal bestätigt. Die norwegischen Autoren Trygve Mathiesen und Harry Nordskog schaffen es trotzdem, mit zwei außergewöhnlichen Büchern die frühe Punkgeschichte weiter auszuleuchten.

 

Seit dem Ende der 70er Jahre und dem frühen UK-Punk hat es keine Rock- / Popband oder Jugendbewegung geschafft, so nachhaltig und weltumspannend prägenden Einfluss auf Kultur zu nehmen - sei es die in Museen, Galerien und Feuilletons der bürgerlichen Presse etablierte, wie auch die des Untergrunds sowie die alltägliche (Mode, Werbung, etc.). Zahlreiche Gründe also, die SEX PISTOLS in allen medialen Formen über die letzten Jahrzehnte auf CDs, DVDs, Fotobänden und Büchern zu dokumentieren. Herausgekommen ist dabei jede Menge zweit- und drittklassiges Material: Irrwitzige Theorien in „Lipstick Traces" (Greil Marcus, 1990), miserabel recherchiert und / oder lieblos zusammengekleisterte und hinlänglich bekannte Zeitungsausschnitte und Fotos in „Sex Pistols: Day By Day" (Lee Wood, 1988), „Agents Of Anarchy" (Tony Scrivener, 1992), „The Rex Collection" (Jeff Bench, 2005) sowie unzählige andere. Ganz zu schweigen von der Vielzahl an Publikationen, die sich allein der (Rand-)Person Sid Vicious („The Sid Vicious Family Album", Anne Beverley, 1980) widmen, auch wenn dieser bis heute die größte mediale Aufmerksamkeit genießt.

Empfehlenswerte Ausnahmen lassen sich an einer Hand abzählen: Neben „The Inside Story" (Fred & Judy Vermorel, 1987), dem Standardwerk „England's Dreaming" (Jon Savage, 1991), „Destroy" (Dennis Morris, 2002), „I Swear I Was There" (David Nolan, 2006) und natürlich John Lydon / Johnny Rottens „Rotten – No Irish, No Blacks, No Dogs" (John Lydon, 1994) gibt es kaum Literatur, die dem kurzen Zeitraum 1976 – 1979 ehrlich und authentisch nahekommt, wenn auch bei diesen gelegentlich Abstriche gemacht werden müssen.
So stellt sich also die berechtigte Frage, ob neue Bücher zu diesem Thema tatsächlich notwendig sind, ob neue Fakten ans Tageslicht gebracht werden und bisher unveröffentlichtes Bildmaterial zur Verfügung gestellt wird oder dem interessierten Leser nur aufs Neue wieder einmal das Geld aus der Tasche gezogen werden soll...

Banned In The UK – SEX PISTOLS Exiled To Oslo 1977
(Melhus Communication AS, 2011)

"I prefered Scandinavia because they were much more hard and brutal. Playing there was like going to a viking beer monster's tea party." (John Lydon)

1977, das für die SEX PISTOLS wohl erfolgreichste Jahr, war neben Skandalen und Charterfolgen auch das der Auftrittsverbote und zwang die Band, auch außerhalb Großbritanniens zu touren. Neben diversen Auftritten in Holland fanden insgesamt 13 Konzerte in Skandinavien statt – zwei davon in Norwegen (20. Juli 1977, Pingvin Club / Oslo und 21. Juli 1977, Studentensamerfundet / Trondheim), elf weitere in Schweden, während Finnland der Band die Einreise verweigerte. Es wurden übrigens auch zwei deutsche Konzerte geplant, die aber nie stattfanden: zum einen in der Hamburger Markthalle sowie im Berliner Kantkino, das damals noch als Konzerthalle fungierte.

Johnny_Rotten_Pingvin_Club_Oslo_1977__webUm dem immensen Einfluss, den lediglich zwei Liveauftritte der SEX PISTOLS auf das anwesende norwegische Publikum hatten, zu dokumentieren und belegen, haben sich die Autoren Trygve Mathiesen und Harry Nordskog anhand weniger privater Live-Fotos und Augenzeugenberichte aufgemacht, um in detektivischer Klein(st)arbeit sämtliche beim Oslo-Auftritt Anwesenden ausfindig zu machen und zu interviewen. Das Ergebnis ist mehr als nur überraschend, denn neben vielen persönlichen und teilweise sehr subjektiven und verklärten Erinnerungen der vor über 30 Jahren Anwesenden finden sich Unmengen tatsächlich bisher unveröffentlichter Fotos (vorwiegend Privataufnahmen) ebenso wie Memorabilien (Tickets, Poster, Autogramme, ...) – allein dafür schon lohnt sich der Kauf dieses Buches! Diesen stellen die Autoren zeitgenössische Zeitungsausschnitte und -interviews der norwegischen Presse gegenüber, und mit dem Gedächtnisprotokoll eines Treffens des kurz darauf verstorbenen Malcolm McLaren runden Mathiesen und Nordskog das Ganze ab, so dass keinerlei Fragen offen bleiben.

„Banned In The UK" schafft es, mit einem ähnlichen Ansatz wie das bereits oben erwähnte „I Swear I Was There" von David Nolan, durch die Vielfalt der einzelnen Interviews ein komplexes Bild eines einzigen Abends bzw. 45 Minuten Konzertes zu schaffen, das dem Leser einen Eindruck des Einflusses und der Intensität vermittelt, den die SEX PISTOLS auf dem kurzen Höhepunkt ihrer Karriere hatten. Während auf den Fotos das Publikum noch überwiegend den modischen Trends der frühen 70er Jahre folgt (ABBA herrscht und an Irokesen in Lederjacken ist noch nicht zu denken!), ist es kaum vorstellbar, dass kurz darauf eine kleine Sache wie Punkrock Nachahmer auf der ganzen Welt gefunden hat und für viele zur Inspiration wurde... Ein Killer-Buch, absolut empfehlenswert!

 

Sid's Norwegian Romance – SEX PISTOLS Exiled To Trondheim 1977
(Melhus Communication AS, 2011)

"I always had good memories of playing Scandinavia. We used to have this mad, crazy crowd around there. Really wild audience who understood right from the start." (John Lydon)

Sid_lying_on_back_-_photo_credit_Tone_Sandbak_web

Genau wie bei „Banned In The UK" haben sich Trygve Mathiesen und Harry Nordskog in „Sid's Norwegian Romance – SEX PISTOLS Exiled To Trondheim" auf Spurensuche gemacht, nur um einen einzigen Auftritt der Band in Norwegen lückenlos zu dokumentieren. Im Mittelpunkt steht hier ein Großteil der Erinnerungen von „Teddie", der damals 16-jährigen Tochter des Veranstalters. Diese kam durch Zufall der Band, insbesondere dem Bassisten Sid Vicious sehr nahe und ermöglicht somit einen tiefen und detailreichen Einblick in die Strukturen und Gedankenwelt der PISTOLS. Sie erlebte hautnah eine Popband auf Tour, sei es vom mondänen Jeanskauf bis hin zum Eisessen. Darüber hinaus kommen selbstverständlich noch einmal reichlich Augen- und Ohrenzeugen zu Wort, es finden sich erneut Berge bisher unveröffentlichter Fotos – beides belegt wieder, dass es anno 1977 nicht zwingend auf die Kleider ankam, sondern auf Spaß und Energie (auch sieht noch niemand im Publikum nach Punk-Uniform aus). Neben ausführlichen Schilderungen des eigentlichen Auftritts werden u. a. auch die Aftershow-Party und die After-Aftershow-Party beleuchtet (beide endeten im Chaos), bis hin zur Abreise der Band.

Der Verdacht, dass es sich bei „Sid's Norwegian Romance" nur um einen müden Abklatsch von „Banned In The U.K" handelt, bestätigt sich nicht: Dieses Buch steht für sich alleine und muss nicht zwingend zusammen mit dem „ersten" Band gelesen werden. Durch die offizielle Veröffentlichung des damals mitgeschnittenen Konzertes (Bonus-CD zu „Kiss This – Greatest Hits" – zuvor schon auf diversen Bootlegs) wird das Werk zur optimalen Ergänzung des Tonträgers und auch hier gilt wieder: Must-Have – absolut empfehlenswert!

P.S.: Da der Verlag Melhus Communication AS über den regulären Buchhandel nur sehr, sehr schwer (und teuer!) zu beziehen ist, empfiehlt es sich, beide Titel entweder via amazon.co.uk oder direkt beim Verlag (Melhus Communication AS Wergelandsveien 27, 0167 Oslo, Norway, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) zu bestellen.