Kapitalismus_by_Stephan-Schmied_pixelio_KopieKeine Revolution, außer man tut es!


Berlin / 14.3.2011: Wir sind alle Schafe im Wolfspelz. Täglich steht man früh auf, legt sich seine Verkleidung an und fährt ins Büro, wo man dann wieder die gleichen hirnlosen Aufgaben erledigt und insgeheim nur an den nächsten Urlaub denkt. Die Entfremdung der Arbeit wird immer heftiger. Es werden imaginär ein paar Zahlen am Ende des Monats verschoben. Und für diese Illusion des Geldes leben wir. Wir haben keine Identifikation mit dem Arbeitsplatz, sind angepasst und wollen an den eingefahrenen Strukturen  der Lohnarbeit nichts ändern. Monotonie heißt Beständigkeit, Beständigkeit heißt Sicherheit und die Sicherheit war noch nie so unsicher wie heute.  Einerseits fragt man sich, wann man sich endlich das neue Auto kaufen kann, andererseits lässt einen die Angst des Arbeitsplatzverlustes nie richtig los. Außerdem: Wer kann sich noch mit den Produkten identifizieren die er verkauft? Es gibt zwar löbliche Ausnahmen, Firmen die sich wieder auf manch solidarischen Wert besinnen, aber auch viele gesichtslose Unternehmen, die ihre Arbeiter ausbeuten und Zeitarbeit nicht zur Ausnahme, sondern zum Regelfall machen. Es ist ein wahres Trauerspiel. Alle machen mit und sind mobiler als sie es wollen. Die Hektik zerfrisst einen regelrecht und man versucht auf Biegen und Brechen ein Stück vom Kuchen des Wohlstandes zu ergattern, ohne Rücksicht auf etwaige Verluste. Man selbst wacht am Wochenende pünktlich um 6 auf und will zur Arbeit. Entspannen und abschalten scheint nur noch eine utopische Erinnerung an alte Tage zu sein. Ich bin keine Ausnahme. Lohnarbeit, Existenzangst und die Not meine Wohnung zu bezahlen halten mich ständig auf Trab. Ich wasche meine unifarbenden Hemden, ich bügel, ich zahle Miete, zahle Gebühren und was weiß ich nicht noch alles. Ich versuche nicht einmal aus diesem Kreislauf auszubrechen. Ich bin einfach zu angepasst. Es wäre Heuchelei meinerseits, würde ich nun etwas anderes behaupten. Wenigstens auf meinem I-Pod bin ich noch Rebell. Wie so viele andere Menschen bin ich auch nur ein Schaf im Wolfspelz, damit es nicht von den wirklichen Wölfen, die keine Kostümierung mehr benötigen, gefressen wird.  Genau sowas wünscht sich doch die Wirtschaft. Lemminge, die ohne einen Mucks gradewegs auf einen Abgrund zulaufen.


Anscheinend erheben sich dieser Tage Menschen rund um den Globus. Wann ist es in Deutschland soweit? In Frankreich werden politische Schriften, von ehemaligen Kämpfern der Resistance und von jüngeren Anarchisten, veröffentlicht. Einziges Thema:  So geht es nicht weiter mit ‚unserer‘ westlichen Kultur. Diese Schriften finden in Deutschland einen reißenden Absatz. Doch davon hört man nichts in den Nachrichten. Wir scheinen immer mehr zu verdummen und alles ohne Wiederworte zu schlucken, was uns die Regierung und die Medien vorsetzen. Auf der einen Seite redet man von Aufschwung und sinkenden Arbeitslosenzahlen. Auf der anderen Seite werden Lohnerhöhungen als unrealistisch abgetan. Stattdessen schiebt man den großen Oligopolen und den Besserverdienenden das Geld einfach in den Arsch.


Überall wird von der Revolution 2.0 gesprochen, aber meiner Meinung ist es maximal eine Mini-Revolte  1.1. Es stimmt schon, in Tunesien und Ägypten sind schon lange herrschende Autokraten erfolgreich aus ihrem Amt gedrängt worden. In Griechenland gab durch die  Euro-Krise vereinzelnd ein Aufbegehren. Aber in Frankreich bleibt Sarkozy trotz heftiger Proteste und der Abschiebung von EU-Bürgern (klarer Verstoß gegen die europäische Freizügigkeit in der Wahl des Wohnsitzes) im Amt.  Von Italien mal ganz zu schweigen, in dem ein alternden Schürzenjäger und Macho ewig weiterregieren kann. Und in Deutschland? Wir schlucken sämtliche Scheiße die uns vorgesetzt wird ohne großes Murren und Knurren. Guten Appetit!

Foto: Stephan Schmied / pixelio.de


Schwerpunkt Revolution 2.0 im aktuellen Wahrschauer #59