Von Nummer-1-Hits und vom Fahrradfahren

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"Repentless" heißt das aktuelle Album der kalifornischen Thrash-Metal-Legende SLAYER, die das Meisterwerk im letzten Quartal des Jahres 2015 auf die Menschheit losließen. Neben ruppigen, schnellen Speed-Granaten begeistern uns vor allem die eher wuchtig-schweren Songs "Vices" oder "When the Stillness comes", denen durch nahezu perfektes Schlagzeugspiel der röhrenden Gewalt ein sattes Fundament geliefert wird. Dafür ist seit gut zwei Jahren mal wieder Paul Bostaph verantwortlich, der im jahrzehntelangen Wechselspiel hinter den Trommeln zum dritten Mal seit 1992 Dave Lombardo abgelöst hat, der wiederum wegen angeblicher finanzieller Differenzen mit den anderen Bandmitgliedern ausgestiegen war. So ließen wir es uns nicht nehmen, an einem kühlen Winterabend zum SLAYER-Konzert in die Columbiahalle zu pilgern und der Einladung zu folgen, mit dem in San Francisco geborenen Paul Bostaph ein interessantes Gespräch zu führen.

Angesichts der schieren Größe einer 150.000-Euro-Produktion war der Ablauf im Backstagebereich vorbildlich organisiert und nachdem uns Tour-Manager Mike LaTronico pünktlich auf die Minute am Hintereingang abholte, ging es im Laufschritt durch die Katakomben der riesigen Halle, vorbei an Dutzenden von Helfern, Technikern und Pressevertretern in eine kleine Garderobe, in der ein entspannter Paul Bostaph uns freundlich in Empfang nahm.
 
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WAHRSCHAUER: Gratulation Paul zur Nr. 1 in Germany auf dem neuen Label! Wie hast du darauf reagiert als ihr von 0 auf 1 in die deutschen Charts eingestiegen seid?

Paul: Das war natürlich super für uns. Aber die letzten beiden Alben, an denen ich beteiligt war (EXODUS und TESTAMENT) kamen ja auch schon bei Nuclear Blast Records raus und ich wusste, dass sie sehr gute Arbeit machen und SLAYER noch einmal pushen werden. EXODUS kam damals nicht in die Charts, TESTAMENT auf 15 und SLAYER jetzt Number One! Das spricht auch für das Label. Ich liebe dieses Label und wir wussten schon bevor die Platte rauskam, dass sie sich für uns den Arsch aufreißen würden. Sie sind ja auch alle Fans, nicht wie ein Business, völlig anders als alle Firmen, mit denen wir bisher gearbeitet haben. Sie stehen richtig dahinter, sie sind Fans der Musik.

W: Gaben sie euch die Möglichkeit mit Terry Date (Produzent von u. a. PANTERA, SOUNDGARDEN, LIMP BIZKIT) zusammenzuarbeiten?

P: Oh nein, das hatte gar nichts mit Nuclear Blast zu tun. Das hatten wir schon in der Pre-Production-Phase ausgemacht als noch gar nicht feststand, wer das Album veröffentlichen wird. Eigentlich wollten wir wieder mit Greg Fidelman arbeiten, so wie beim letzten Album "World Painted Blood". Aber wir hätten zu lange warten müssen bis er frei wird. Dann haben wir einen anderen Produzenten gesucht und Terry war gerade verfügbar. Das hat natürlich gepasst. Es war für uns sehr aufregend, mit ihm zu arbeiten und das Ergebnis spricht ja für sich. Wir sind sehr zufrieden.

W: Habt ihr bei den Aufnahmen etwas grundlegend anders gemacht als z. B. bei "God Hates Us All"? "Repentless" klingt ja doch ganz anders?

P: Nicht bewusst. Aber es ist ja auch so, dass nicht jedes Album exakt gleich klingen soll. "God Hates Us All" ist ja auch schon eine Weile her und wir haben diesmal einen anderen Produzenten, ein anderes Studio, ein anderes Drumkit, andere technische Möglichkeiten... da ist es meiner Ansicht nach völlig normal, dass sich der Grundsound verändert. Entscheidend ist ja, dass er zum Album und zur Musik passt.

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W: Von SLAYER erwartet aber auch niemand Experimente, weder musikalisch noch soundtechnisch. Ist das ein Vorteil für euch als Musiker?

P: Ich sehe es selbst auch aus der Sicht des Fans. In den ersten zehn Jahren der Band-Historie war ich ja gar nicht involviert und so sehe ich jedes Album bis heute immer wie ein alter SLAYER-Fan und will, genau wie ein normaler Fan, auch nicht enttäuscht werden. Ich denke, es ist schon eine gute Sache, dass die Band sich kaum verändert hat. Als Heavy-Metal-Fan erwartet man einfach von SLAYER genau das, was wir tun. Ich hoffe es jedenfalls und die Reaktionen bestätigen mich.

W: Thrash-Metal war ja schon immer dein Ding.

P: Vollkommen richtig. Meine erste Band war ja FORBIDDEN EVIL, eine lupenreine Thrash-Band (1987, später nur FORBIDDEN). Ich habe selbst auch nie Jazz oder etwas ganz anderes gespielt. Ok, "Undisputed Attitude" war ein Punk-Album, aber natürlich auch ein SLAYER-Album. Klar, man probiert mal was mit anderen Musikern, aber es war nie etwas Ernstes. Als Kind und Jugendlicher bin ich mit der Musik meiner Familie aufgewachsen. Ich habe ältere und jüngere Geschwister und wir hörten alle die Big Bands, die unser Vater auflegte, zum Beispiel Bing Crosby, Glenn Miller oder Benny Goodman. Die älteren Brüder brachten mich dann auf VAN HALEN, BLACK SABBATH und AC/DC. Sogar EARTH, WIND & FIRE oder die BEATLES waren ein früher Einfluss für mich. Immer wenn mir was gefiel, legte ich es auf und da waren ganz unterschiedliche Sachen dabei.

W: Und was ist deine Lieblingsband aus Deutschland?

P: Oh, ich liebe Michael Schenker... aber seine Band ist ja nicht wirklich deutsch. Also sage ich SCORPIONS. Das ist schon eine klasse Band, die seit langem gute Songs macht.

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W: Was ist dein Lieblings-SLAYER-Album?

P: Das ist schwer... aber ich sage "South Of Heaven". Darauf habe ich zwar nicht mitgespielt aber es ist das facettenreichste SLAYER-Album, mit einem nahezu perfekten Drumming. Natürlich muss man auch "Reign In Blood" nennen. Als wir Kiddies das damals hörten 1987... ich konnte es nicht fassen. Das war unglaublich. Danach kam dann "South Of Heaven" und niemand dachte, dass es härter und heavier werden könnte, aber bereits der erste Song "South Of Heaven" hat mich weggeblasen! Das war zwar nicht so schnell wie das Album vorher, aber dafür war es "heavy as fuck!".

W: Als Teil der SLAYER-Familie bist du bei den Fans voll akzeptiert. Du bist ja schon das dritte Mal (wieder) eingestiegen. Niemand sagt, dass es schade ist, dass Dave Lombardo seit 2013 raus ist weil jeder weiß, dass du genauso gut ins Team passt. Wundert oder freut dich das?

P: Als ich das erste Mal zu SLAYER stieß (1992) war das natürlich etwas anders. Nicht alle Fans akzeptierten mich sofort. Die Loyalität zu Dave war schon sehr groß. Einige sagten mir, dass sie es total hassen, dass Dave nicht mehr dabei ist. Aber es hat mich auch niemand rundherum abgelehnt oder gar wie Dreck behandelt. Ich habe mich von Anfang an bemüht, nach den Shows auch den Kontakt zu den Fans zu suchen und die meisten sagten mir, dass sie mein Spiel respektieren und ganz froh sind, dass wenn Dave schon raus ist, dass ich es dann bin, der ihn vertritt. Das tat natürlich gut.

W: Hast du dich hier in Berlin ein wenig mit der Historie der Stadt beschäftigt? Unsere Verbindung zu deiner Heimat, zu den USA ist ja seit der Luftbrücke 1948 traditionell als sehr eng zu bezeichnen.

P: Oh ja, ich bin nicht zum ersten Mal hier und habe mir einiges angesehen. Wir waren am Checkpoint Charlie (ehemaliger Grenzübergang von West- nach Ost-Berlin in Kreuzberg), haben Teile der Mauer angesehen und sowas. Am Flughafen Tempelhof war ich noch nicht obwohl der ja quasi direkt um die Ecke ist. Aber diese Geschichte mit den Rosinenbombern und der Blockade durch die UdSSR ist schon sehr interessant. Da werde ich sicher zuhause nochmal was drüber nachlesen.



W: SLAYER ist eine globale Marke. Wo auf Tour hast du dich am wohlsten gefühlt?

P: Also mein Lieblingsland ist Holland, aber ich fühle mich auch in Deutschland sehr wohl, ganz klar. Amsterdam ist eine supercoole Stadt, alleine weil dort so viele Leute mit dem Fahrrad fahren, wie eigentlich überall in den Niederlanden. Ich bin noch nicht mal ein aktiver Umweltschützer oder so, aber dieser Aspekt der niederländischen Kultur gefällt mir schon sehr gut. Das hat sowas offenes, geselliges... einfach cool. Mein Drum-Techniker hat uns irgendwann mal während einer Holland-Tour Fahrräder besorgt und dann sind wir in Amsterdam mit den Bikes rumgefahren. Wenn es aber darum geht, wo auf der Welt wir die besten Reaktionen als Band bekommen, dann würde ich sagen: Überall! Die SLAYER-Fans sind weltweit etwas besonderes, machen immer tolle Stimmung, drehen durch und sind total fasziniert von Musik. Das macht uns als Musiker sehr stolz, bei wirklich jedem Gig diese Energie zu spüren.

W: Gary Holt von EXODUS und du sind ja schon lange gute Bekannte und Musikerkollegen und nun spielt ihr zusammen bei SLAYER seit Gary den 2013 verstorbenen Jeff Hannemann an der Gitarre ersetzt.

P: DAS Ist richtig cool! Gary und ich haben einige Jahre bei EXODUS zusammengespielt und wir verstehen uns blind. Es ist ja nicht irgendein Typ, bei dem man denkt, oh mein Gott, jetzt spielt der bei SLAYER... nein, Gary ist einer der Erfinder des Thrash-Metal! Das muss man ja mal in Erinnerung rufen. Er war eines der ersten Mitglieder bei EXODUS, schon 1981! Und jetzt spielen wir wieder zusammen. Ich hätte nie gedacht, dass das so passieren würde. Zwar war vor allem Jeff immer mein bester Kontakt zu SLAYER aber jetzt ist es genauso geil, mit Gary zu spielen.

W: Hat der Songtitel "Repentless" (frei übersetzt etwa: "nichts zu bereuen") etwas mit Jeffs Lebensstil zu tun? Wird übermäßiger Alkoholkonsum damit beschönigt oder kritisch gesehen?

P: Nein, mit Jeffs persönlichem Lebensstil hat der Titel absolut nichts zu tun.

W: Wie würde Jeff es finden, jetzt Gary Holt mit SLAYER als Gitarrist auf der Bühne zu sehen?

P: Jeff würde brüllen "FUCK! YEAH!" :-)


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Kurz darauf drängten sich 3.000 Fans in die Halle und nachdem KVERLERTAK und vor allem ANTHRAX eindrucksvolle Auftritte hinlegten, ballerten SLAYER eine sensationelle Setlist ins weite Rund. Songs der alten Klassiker wechselten sich mit neuerem Stoff ab, dabei wurde vor allem das aktuelle Album entsprechend gewürdigt. Klang und Musik bildeten eine perfekte, extrem druckvolle Symbiose und die Anwesenden drehten fast 100 Minuten lang durch, so dass im unteren Bereich der Halle spätestens beim Rausschmeißer "Angel Of Death" der 1000-Mann-Moshpit dafür sorgte, dass das Kondenswasser in Strömen die Mauern herunterlief. Um es mit einem befreundeten DEHUMAN REIGN-Musiker fünf Minuten nach dem Ende der Show zu sagen "Ich bin durch!"

Text und Fotos: d. von junzt, Claudia K.

Setlist:

Delusions of Saviour (vom Band)

Repentless

Postmortem

Hate Worldwide

Disciple

God Send Death

War Ensemble

When The Stillness Comes

Vices

Mandatory Suicide

Chemical Warfare

Die By The Sword

Black Magic

Implode

Seasons In The Abyss

Hell Awaits

Dead Skin Mask

World Painted Blood

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South Of Heaven

Raining Blood

Angel Of Death