isisVerzweiflung als Problemlöser

Vor vier Jahren fräste sich die griechische Sensation BARB WIRE DOLLS durch die Punk- und Rocklandschaft. Die charismatische Sängerin Isis Queen zierte sogar das Cover unserer WAHRSCHAUER-Ausgabe #63. Nach brutalem Tourleben und emotionalen Strapazen veröffentlichte die Band nun ihr zweites Album „Desperate“, dessen Titel allein schon Bände spricht. Im Interview erklärte die Frontfrau uns, wie die Band dank großzügiger Fans und der Rocklegende Lemmy Kilmister trotz vieler Hürden zusammengehalten hat.

WAHRSCHAUER: Hallo Isis, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur Komplettierung eures Lineup! Hattet ihr durch die zusätzlichen Mitglieder mehr Möglichkeiten im Studio und auf der Bühne?

Isis: Auf unserem Debüt „Slit“ hatten wir nicht mal einen Bass in der Aufnahme. Pyn hat einfach seine Gitarre durch die Bassverstärker geschleust, wodurch wir einen sehr dreckigen, brummigen Sound erzeugen konnten. Dadurch hat man den Bass gar nicht vermisst. Später haben wir uns erstmal nur einen Bassisten ins Boot geholt, um den Sound unserer Dreiercombo bei der US-Tour auch auf die Bühne zu bringen. Inzwischen sind wir aber sogar zu fünft: Iriel Blaque spielt den Bass und Remmington ist dafür an die Rhythmusgitarre gewechselt. Dadurch schöpfen wir das Potenzial der Melodien in unseren Songs voll aus.

W: Euer Stil hat sich dabei deutlich geändert, was du schon bei unserem letzten Interview angekündigt hast. Wie kommt dieser „Street Rock“ bei den alten und neuen Fans an?

Isis: Klar, die Platte kling allein durch den Bass völlig anders. „Desperate“ ist ein eigenständiges Biest und in vielerlei Hinsicht genauso mächtig wie sein Vorgänger. Unsere Fans, die Street Generation, empfangen die neuen Songs mit offenen Armen.

W: Welchen bleibenden Eindruck der letzten Jahre hast du in den Lyrics verarbeitet?

Isis: „Desperate” entstand während einer brutalen DIY-Tour, während der wir monatelang in einem kleinen Bauernhaus in Deutschland wohnten. Der Song „Take Me Home“ entstand dabei mit als erstes, denn nach zweieinhalb Jahren des Reisens durch die USA und Europa wollten wir wirklich nach Hause. Diesem Gefühl, und auch der Suche danach, was wir mit dem Leben anfangen möchten, ist der Song gewidmet.

W: Auf dem neuen Album sind weniger deiner aggressiven Schreie zu hören, die „Slit“ so kräftig machten. Stattdessen singst du mit klarer, energischer Stimme. Warum ist das so?

Isis: Bei den neuen Songs hätte diese Art zu Singen einfach nicht so gut gepasst. Auf „Slit“ kam meine Energie aus Frust, Wut und Verzweiflung. Das war auch der Grund, warum wir das zweite Album „Desperate“ nannten, denn aus Verzweiflung entsteht bisweilen Großartiges. So hatten wir zum Beispiel keine Kohle, schliefen bei Leuten auf dem Boden – und haben es trotzdem geschafft, das Album fertigzustellen und bei Lemmys Label Motörhead Music zu veröffentlichen. Das haben wir aber auch der Großzügigkeit unserer Fans zu verdanken. Daraus haben wir gelernt: Steckt man in der Klemme und findet keinen Ausweg, dann ist man noch nicht verzweifelt genug, um die Lösung für das Problem zu sehen. Erst die Verzweiflung bringt einen dazu, Dinge zu erreichen, die man nicht für möglich gehalten hätte.

W: Es war sicher eine große Ehre, bei Lemmys noch recht frischem Label einzusteigen. Habt ihr mit ihm zusammengearbeitet, bevor er verstarb?

Isis: Lemmy hat uns neue Hoffnung gegeben. Wir trafen ihn auf dem Sunset Strip in Los Angeles, gleich beim ersten Mal, als wir dort waren. Über die Jahre hinweg schicken wir ihm immer wieder unsere Demos und irgendwann kam er dann jeden Montag zu unseren Shows im Whisky A Go Go. Mit Motörhead Music wollte er ja sein musikalisches Erbe auch mit anderen Bands fortsetzen, darum fragte er uns, ob wir die erste Band sein wollen, die ein neues Album auf dem Label veröffentlichen. Und natürlich waren wir total aufgeregt. Ich meine, es ist MOTÖRHEAD! Sie sind alles, wofür wir auch stehen: Sie folgen keinen Regeln, sind wer sie sein wollen. Lemmy war ein echter Innovator – und ein Gott!

W: Hattet ihr diesmal mehr Zeit im Studio?

Isis: Die 14 Songs nahmen wir in neun Tagen in den Sonic Ranch Studios mitten in der texanischen Wüste auf, was uns eigentlich leichtfiel. Das haben wir vor allem Tony Rancich zu verdanken, denn er hat diesen Zufluchtsort für Musiker errichtet. Auch Produzent Jay Baumgardner hat sich massiv eingebracht, die Fotos von Bob Gruen vollendeten schließlich das Artwork unseres Albums.

W: Vor einigen Jahren beeinflusste euch die Griechenland-Krise stark in eurem Schaffen. Diese ist bis heute nicht vorbei, stattdessen sind scheinbar viele weitere Probleme in der Welt hinzugekommen. Wie hilft die Musik euch, diese Flächenbrände zu verarbeiten?

Isis: Die Ungerechtigkeit und Kriminalität in unserem Heimatland wird uns immer bewegen, denn unsere Freunde und Familien müssen sich damit jeden Tag auseinandersetzen. Aber genau aus solchen Situationen heraus entsteht auch Kunst – ansonsten hätten wir unsere Garage auf Kreta wohl nie verlassen. Wir kanalisieren also alle Ereignisse und Erlebnisse in unserer Musik. Demzufolge wird auch sie sich stets mit der Welt ändern.

W: Neulich wart ihr auch auf einer großen Bühne des Wacken Open Air zu sehen. Verliert man da den Kontakt zum Publikum?

Isis: Ich liebe große Bühnen, weil ich mehr Möglichkeiten habe, herumzuspringen und zu tanzen. Außerdem finde ich immer einen Weg, nahe ans Publikum zu kommen. Es spielt also keine Rolle, wie groß die Location ist.

W: Da ihr auf Tour viel schreibt, habt ihr wahrscheinlich schon eine Handvoll neuer Songs fertig. Wie wird die dritte Platte denn klingen?

Isis: Richtig, wir sind schon am nächsten Album dran. Wir wurden eingeladen, im legendären Studio Rancho de la Luna aufzunehmen. Einige der Tracks werden sicher ihren Weg auf die Platte finden, aber wer weiß das jetzt schon? Wir schreiben einfach weiter und weiter aus unseren Herzen und Seelen. Wie auch immer es ausgeht: Es wird der perfekte Fortschritt für unsere Band sein.

W: Da du so gut darin bist, inspirierende Worte zu finden: Was möchtest du euren Fans mitgeben?

Isis: Glaubt nicht, dass ihr etwas nicht könnt. Ihr könnt es, solange ihr euer ganzes Herz hineinsteckt. Wollt ihr euer Leben ändern und den Traum wahrmachen, dann scheut keinen Aufwand. Es gibt keinen Platz für Entschuldigungen, jeder ist für sein eigenes Schicksal verantwortlich. Wir sehen euch im Pit!

Foto: Johnny Rice Photography