wizo band 16 kleinKomm steh auf und tanz den Pogo. Er ist hart, genau wie das Leben!

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Das neue beginnt mit einer WIZO-Tour. Und aus diversen Ecken tönte es: „Da müssen wir hin!“ Auch ich dachte, „na gut, warum nicht?“ Zugegeben, ich hatte die Band in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren und mich nach HERRENHANDTASCHE nicht weiter um sie gekümmert. Ja, die Texte waren schon immer anders, überzeugend und intelligent, wie z.B. „Kopfschuss“, „Die letzte Sau“ oder „Quadrat im Kreis“. Solche Lieder haben mich beeindruckt und geprägt. Aber musikalisch schlug ich irgendwann andere Pfade ein. Heute muss ich sagen: Das war ein Fehler! Nicht sich musikalisch anders zu entwickeln, aber WIZO so aus

den Augen zu verlieren, denn zur Vorbereitung auf das Interview begann ich mich mit den letzten 3 Alben zu beschäftigen: ANDERSTER (2004), PUNK GIBT’S NICHT UMSONST (TEIL III) (2014) und DER (2016). Was hab‘ ich da nur verpasst! Gut, im Großen und Ganzen ist die Band ihrem musikalischen Stil treu geblieben: schneller, abwechslungsreicher Punkrock mit Breaks und Ecken und Kanten, aber eben auch mit etlichen Fremdgängen in diverse musikalische Neuländer: von (Apo)Calypso über Chanson und Ballade bis ChaChaCha ist alles dabei. Und natürlich ist auch eine Entwicklung zu erkennen - inhaltlich wie auch musikalisch. Einige Lieder sind so witzig, dass ich im Auto laut lachen musste („Unsichtbare Frau“, „Der lustige Tagedieb“, „Kohlenholen“), andere so kompromisslos und direkt, dass ich kurz schlucken musste („Apokalypso“, „Egon“, „Trübsal“-gluckgluckgluck-). Wieder andere sind einfach nur so geil und müssen mitgebrüllt werden („Verwesung“, „Dummheit“, „Adagio“) – von den Antifa-Hymnen mal ganz zu schweigen. Um es kurz zu machen: Ich war wieder so angefixt und überzeugt, dass ich umso erfreuter war, unterstützt von Linda und Jan, Axel meine Fragen stellen zu können, die er uns in über einer Stunde ausführlich am Telefon beantwortete.

Kapitel 1: POLITIK

Wahrschauer: Wie würdest du die momentane politische Lage beschreiben? Hättest du dir vorstellen können, dass es einmal so weit kommt (Stichwort Pegida, AfD…)?

Axel: Leider konnte ich es mir so vorstellen, denn die Signale gingen ja alle in diese Richtung. Es hat sich abgezeichnet und es hat auch bei mir dazu geführt, auf unserem letzten Album eine etwas grobschlächtigere und kontrastreichere Sprache zu benutzen, weil ich glaubte ich müsste dem lauten Gebrüll der ganzen Rechtspopulisten auch mal was entgegensetzen und versuche mal laut zu schreien. Ich weiß natürlich, dass das riskant ist, denn natürlich reicht es nicht einfache Lösungsvorschläge für komplexe Probleme zu liefern, aber ich dachte, dass es aus unserer Position auch mal wichtig ist ein kerniges Statement rauszuhauen. Ich bin halt kein Gedichteschreiber, auch kein Schriftsteller, ich schreib 3-minütige Punkrocksongs mit denen Energie transportiert wird. Mein größtes Problem an der heutigen Politik ist, dass ich das nicht mehr vermeiden kann, was ich vermeiden wollte, nämlich zynisch und sarkastisch zu werden. Ich hab‘ ganz lange versucht es nicht zu sein, aber es ist fast unmöglich aus unserer linksradikalen Sichtweise heraus. Viele Dinge sind einfach so ultragrotesk und stehen in so krassem Gegensatz zu der heilen Welt, die einem noch in der Konsumwerbung vorgegaukelt wird, dass es fast nicht mehr anders zu bewältigen ist, als damit zynisch umzugehen.

W: Gutes Stichwort. Eine …BUT ALIVE-Platte hieß mal „Nicht zynisch werden!?“ Deine Texte sind ja oft bitter oder sarkastisch oder, wie du selbst sagst, zynisch. Aber ist das unter den gegenwärtigen Umständen nicht normal?

A: Ich kann dir sagen, was mein Ideal wäre: Auf der neuen 7“, die noch vor Weihnachten rauskommt, haben wir das Stück „Ich war, ich bin und ich werde sein“, was ein Zitat von Rosa Luxemburg ist. Zu Rosa hab‘ ich mal recherchiert, weil sie ja tolle Sachen gesagt hat. So hat sie zum Beispiel aus dem Knast sinngemäß ihrer Freundin geschrieben: Wir müssen heiter bleiben und uns von den Arschlöchern unterscheiden. Wir müssen die sein, die im Zweifelsfall immer noch lachen und feiern und wir dürfen uns nicht runterdrücken lassen. Und wenn das eine Rosa Luxemburg gesagt sagt, die damals unter ganz krassen Bedrohungen von allen Seiten stand, dann ist das zumindest ein schönes Ideal, was man selber verfolgen kann. Und deshalb ist das auch mein Motto: Wir müssen weiter heiter bleiben. Wir dürfen uns nicht von den Bedingungen und den Arschlöchern um uns rum einen Schlag aufs Genick geben und dann die Köpfe hängen lassen! Das geht nicht, das ist keine Option!


Danach kam die Frage auf, wie sinnvoll es ist mit Nazis zu sprechen oder zu diskutieren. Z.B. sich konkret in einen Thread (etwa auf tagesschau.de) einzuklinken und dort gegen Vorurteile in den Kommentaren vorzugehen. Axel sieht zwar die Möglichkeiten, die diese Form der Überzeugungsarbeit bietet, plädiert aber eher für die direkte Ansprache, meint also z. B. dass es wichtiger und effektiver ist dem Nazi-Onkel auf der Familienfeier oder Geschäftskollegen etwas entgegenzusetzen als sich in die Diskussion in einem Tagesschau-Thread einzuschalten.

Um noch einmal auf die politische Entwicklung bzw. momentane Situation in Doofland zu sprechen zu kommen, wollte ich von Axel wissen, ob sich seine Einschätzung von A. Merkel durch ihre Haltung in der sogenannten Flüchtlingskrise geändert hat - vor allem im Vergleich zu anderen PolitikerInnen jeglicher Couleur. Und tatsächlich erlebt auch er die absurde Situation, sich momentan manchmal in der Rolle des „Quasi-Muttiverteidigers“ wiederzufinden.

A: Ja voll, ich finde, das ist ein super Thema: die Angela Merkel-Frage. Man wird heute auf Seiten der Gutmenschen zum Muttiverteidiger, obwohl man das überhaupt nicht wollte. Ich bin der Auffassung, man muss das von der Person Angela Merkel trennen, denn sie ist ja eine professionelle Politikerin. Sie arbeitet mit Kalkül, die macht ihre Lobbyinteressen und den ganzen Bullshit, aber nichtsdestotrotz: inhaltlich, an dem Punkt wo sie angegriffen wird für ihre menschlichen Anweisungen nicht auf Leute an der Grenze zu schießen, da muss man sie halt unterstützen. Da muss man dann sagen: Gut gehandelt bzw. nicht scheiße gehandelt.

Im Laufe unseres Gesprächs über Politik kamen wir dann noch auf diverse Themen, wie etwa den unvermeidlichen D. Trump, zu sprechen. Wobei Axel sagte, dass dieser Typus Politiker ja gar nicht so neu ist, wenn man sich mal überlegt, was Berlusconi schon getrieben hat oder was für einen Unsinn Leute wie F.J. Strauß oder H. Kohl in ihrer Selbstherrlichkeit angestellt haben. Von daher war der Trump-Erfolg für ihn ebenfalls nicht so überraschend. Schrecklich sei halt, dass die Leute mit der sich immer schneller drehenden Welt überfordert sind, Schiss haben abgehängt zu werden und deshalb, wie zuletzt in Brasilien, rechten Rattenfängern auf den Leim gehen, deren markige Sprüche als vermeintliche Lösungsvorschläge für die drängenden Probleme in einen 140 Zeichen-Tweet passen.

Kapitel 2: MUSIK

Anschließend stellte ich eine Frage, die mich im Vorfeld etwas verunsichert hat, da sie angeblich zu den 5 bescheuertsten Interviewfragen an MusikerInnen gehört. Ich stellte sie aber trotzdem: Entstehen bei WIZO die Songs in Einmannregie von Axel oder als Resultat gemeinsamen Beisammenseins, - schreibens und -musizierens? Um es kurz zu machen: ersteres ist der Fall. Das liegt einerseits daran, dass Axel eben von Haus aus nicht nur Sänger, sondern auch der Hauptkomponist und -texter ist, andererseits aber auch daran, dass das Proben und Songs entwickeln nicht mehr so einfach ist wie früher, was u. a. daran liegt, dass der Basser in den USA lebt. In der Regel bastelt Axel also die Songs alleine zusammen (Pflicht) und gibt sie dann mit der Band vor Publikum beim Konzert zum Besten (Kür). Wobei Pflicht nicht negativ gemeint ist, denn natürlich macht das Schreiben der Songs auch Spaß, kann befriedigen und stolz machen. Er legt übrigens Wert darauf zu betonen, dass Live-Konzerte für die ganze Band immer noch das geilste am Musikmachen sind, denn zusammen mit Freunden auf diese Art zu feiern sei immer noch das Größte. Kleine Anmerkung für die Musik-Nerds unter euch: Er spielt die Songs mit dem Drumcomputer ein, da das einfach um Längen einfacher und schneller geht und die Programme mittlerweile auch sehr gut sind. Für die richtigen Albumaufnahmen nehmen sie aber immer ein richtiges Schlagzeug. Auf einigen alten Aufnahmen hat Axel das Schlagzeug selbst eingespielt, z. B. bei „Heut Nacht“ von der ANDERSTER. (Hört es euch an und urteilt selber ?)


W: Nochmal zum Thema Politik und Musik. Wie wichtig ist Provokation als Stilmittel bei Texten? Sie wird ja von dir gerne genutzt. Ist sie heutzutage mehr als früher nötig, damit die Leute erstmal zuhören und aufmerksam werden?

A: Das ist auf jeden Fall ein interessantes Thema. Früher haben wir es sehr binär und einspurig benutzt. Wir haben es einfach gemacht und gesagt: Cool, mit Provokation als Stilmittel kann man Leute vor den Kopf stoßen und genau das erreichen was du sagst, nämlich, dass sie einem zuhören. Das haben wir benutzt. Aber wenn man bedenkt wie wir Ende der 80er / Anfang der 90er getextet haben… Ich mein, man muss sich mal vor Augen halten: Vor „Nothing else matters“ von METALLICA gabs noch nie ‘ne verzerrte Gitarre im Radio und ich weiß noch wie alle durchgedreht sind, wenn EXTRABREIT „Hurra hurra die Schule brennt“ sangen. Aber der Level hat sich ja komplett geändert. Womit wir früher provoziert haben, das ist heute extrem harmlos. Wenn man sich ansieht, was der durchschnittliche Gymnasiasten-Rapper von sich gibt, dann sind die früheren Sachen total witzlos. Nur, um auf deine Frage zurückzukommen, ob ich mich da jetzt in so einen Wettkampf begeben sollte, sehe ich mittlerweile kritisch. Du weißt, dass ich ein großer Verfechter von Kommunikation und Sprache bin. Und ich merke ganz oft: Ich hab‘ keine Lust übermäßige Gewalt heutzutage noch zu besingen. Naja, auf der letzten Scheibe allerdings gibt es auch wieder so ein Stück, „Trübsal“, wo ich sowas mache. Aber wenn ich es mache, dann achte ich drauf, dass es wirklich deutlich wird, dass es einen Kunstcharakter hat und ich habe keinen Bock mehr Gewalt als Mittel zur Attention zu benutzen, weil du ja da auch wieder den Kontext beachten musst. Es gibt ja mittlerweile ganze Horden von Nazikapellen, die sich daran aufgeilen, dass sie dir erklären, was sie mit ihren politischen Gegnern alles anstellen werden. Und spätestens in einen solchen Kontext will ich nicht kommen. Nichtsdestotrotz haben wir jetzt gerade ein neues Lied am Start, in dem es heißt: „Ich will das Early Bird-Ticket ins Internierungslager“. Wenn das jetzt so weitergeht will ich ganz vorne sitzen im Zug. Also bitte, holen sie mich. Das ist eben auch ein ganz schmutziger Humor. Das ist etwas, bei dem ich aufpassen muss, in was für einem Kontext ich das bringe. Das ist Zynismus. Dieser Sarkasmus will aus mir raus, aufgrund der Situation, in der wir uns mittlerweile befinden. (…)

Anschließend wollte ich wissen wie die Zukunftspläne der Band aussehen. Nach der ausgiebige Tour im Januar / Februar ist dann erstmal wieder eine längere Ruhephase angesagt, in der man nicht so viel offiziell von WIZO hören wird. Aber sie werden im Hintergrund produktiv bleiben. So gibt es bereits jetzt ein umfangreiches Repertoire an Songs, die der Fertigstellung harren (wofür nach der Tour wieder Zeit sein wird). Als D.I.Y.-Band bleibt auch so stets genug zu tun. Intern werden gerade Auslandsaktivitäten intensiv diskutiert, da es auch dort tolle Angebote und Möglichkeiten gibt (z.B. Kanada, wohin sie gerne mal wieder würden, oder auch Frankreich). Es geht also auch darum Kontakte und Freundschaften zu befreundeten Bands zu pflegen, neue Kontakte zu knüpfen und sich gegenseitig zu besuchen. Nach dem Motto: Ihr spielt bei uns, wir spielen bei euch. Axel jedenfalls ist mit der Zusammensetzung der Band gerade sehr zufrieden. Interessante Randnotiz: Durch FAT WRECK sind ebenfalls viele Freundschaften und Kontakte entstanden, so dass Axel auch einige Konzerte als Gitarrist bei Fat Mike’s ME FIRST AND THE GIMME GIMMES gespielt hat.

W: Nächstes Stichwort Zensur. Ihr hattet ja mit dem gekreuzigten Schwein Ärger bekommen. Hattet ihr eigentlich damals mit „Kopfschuss“ keine Probleme mit der Zensur? Bei SLIME gab’s ja mit „Bullenschweine“ einen riesigen Aufriss. Es wurde ja gleich die ganze Platte zensiert. Wie war das bei „Kopfschuss“?

A: Es gibt Straftatbestände, es gibt Gesetze, gegen die du als Band verstoßen kannst. Letztendlich wird dann die Frage beurteilt, ob das unter die künstlerische Freiheit fällt oder nicht. In unserem Fall war es halt so: Wir wurden von einem Gericht dazu verurteilt, dass wir in unserem Lied „Kein Gerede“ zu Gewalt aufrufen. Und wenn so ein Lied angeblich den Straftatbestand erfüllt und du verkaufst es nach dem Urteil weiter, dann machst du dich noch mal strafbar. Wir mussten es damals als kleines Label vom Markt nehmen. Da wär‘ sonst noch jemand in den Knast gekommen. Als wir den Label-Sitz noch in Bayern hatten, da haben sich die Dinge zugespitzt, weil uns der Staatsanwalt auf dem Kieker hatte und er mal irgendwann unser Schwein am Kreuz gesehen hatte. Es ist wirklich grotesk, aber wir haben es im Nachhinein recherchiert: da ging wirklich der Staatsanwalt mit dem Generalvikar in die Sauna. Und der Generalvikar ist der Hexenjäger vom Bischof in Regensburg. Das ist sowas wie der Außenminister vom Bistum, der dafür sorgt, dass alles, was die katholische Kirche erzürnen könnte, verhindert wird. Wenn z. B. ein Schwulen-Treff aufmacht, kommt gleich der Generalvikar und versucht das zu verhindern. Und diese Spezis haben dann z. B. auch Unterschriften gesammelt. 120.000 gläubige Katholiken haben in Wallfahrtsorten, etwa in Altötting, auf vorgefertigten Listen gegen uns unterschrieben. Diese 120.000 Unterschriften hat der Generalvikar dem Edmund Stoiber damals überreicht. Darauf hat Stoiber seinen Kumpel von der Staatsanwaltschaft Regensburg angerufen und wir sind als einer der wenigen Fälle, die es im Nachkriegsdeutschland gab, nach §166 verurteilt worden: Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen. Total selten.


W: Also quasi ein Ritterschlag.

A: Im Prinzip schon. Ich würd‘ auch gerne darüber lachen, aber es war damals überhaupt nicht lustig. Es hat uns ganz schön Stress bereitet. Was auch geil ist an dem Fall: 1996 konnte uns der Richter verurteilen, nicht weil wir es im Versandhandel hatten, sondern weil wir es im Internet angeboten hatten. Sowas musste man damals schon registrieren und wir hatten einen der ersten Internet-Shops, und letztendlich wurden wir darüber dann richtig abgefuckt. Das hat dazu geführt, dass wir in Zukunft ein bisschen vorsichtiger waren. Wir haben z. B. das Lied „RAF“ nur auf FAT WRECK veröffentlicht. Es sollte ja eine satirische Abrechnung mit dem RAF-Kult in linken Kreisen sein, aber ich wusste genau: wenn da der falsche Staatsanwalt um die Ecke kommt, dann kann der uns wieder in echte Schwierigkeiten bringen. Aber um mal auf deine Frage zurückzukommen: wegen „Kopfschuss“ war ich zweimal bei der Bundesprüfstelle in Bonn. Das ist diese Vereinigung von Eltern, Buchhändlern, Religionsdudes oder Erziehern, die da so Schöffengericht-mäßig zusammengerufen werden. So ein Haufen arme Schweine, die in einem kotzlangweiligen Sitzungssaal vor einer Stereoanlage sitzen, bei der nur die linke Box funktioniert. Ich rede keine Scheiße, ich war dabei. Da wurde dann unsere UUAARRGH!-Platte von der damaligen Dienststellenleitern Frau Mommsen-Egberding (bester Doppelname ever) aufgelegt. Also mir sträuben sich echt die Nackenhaare, wenn ich mir überlege was wir für einen Bullshit erlebt haben. Das klingt, als würde ich es erfinden, aber es war wirklich so. Also da wurde dann unsere CD angehört und dann haben sich diese verschiedenen Leute, darunter auch Juristen, den Text angekuckt. Und ich war als Textdichter und Urheber eingeladen und sollte mich äußern. Das solltest du als Künstler auch wahrnehmen, weil du so noch einen Einfluss darauf nehmen kannst, ob dein Stück auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften landet. Ich hab‘ den Leuten meinen künstlerischen Background erklärt: Hallo, wir befinden uns hier in einer Sparte, das ist keine Musik, die im Radio läuft. Dafür sind die Gitarren viel zu laut. Daraufhin habe ich dann auch Unterstützung gefunden. Manche beschwerten sich sogar über irgendwelche Lehrerkinder, deren Eltern ‘ne Eingabe bei der Bundesprüfstelle gemacht haben.


W: (Gelächter) Wir sind auch alle Lehrerkinder…

A: Ach, ihr seid Lehrerkinder?

W: Ja, alle drei. Und einige von uns sind sogar selbst Lehrer.

A: Alle drei? Also, wir hatten uns den klassischen Fall immer so vorgestellt: Kind XY, achte Klasse, fängt an die wilde Welt des Punkrock zu entdecken, fängt an zu kiffen, mit den Assis von der Tankstelle rumzuhängen und läuft etwas aus dem Ruder und Herr Realschullehrer XY denkt: Oh Gott, was hab ich falsch gemacht, ich hab doch immer das Holzspielzeug besorgt (Gelächter). Irgendjemand muss mein heiliges Kind vergiftet haben. Und dann kuckt er im CD-Player und findet da unsere CD und die muss natürlich vom Markt genommen werden. Also der „Kopfschuss“ jedenfalls wurde zweimal von der Bundesprüfstelle geprüft. Ich war zweimal in Bonn und habe gesagt: Ich bin Künstler, ich komme aus einer Subkultur und nehme mir das Recht heraus eine szenegerechte harte Sprache zu sprechen und auf Missstände hinzuweisen, von denen ich denke: schlimm, dass es kein anderer macht. Jedes Mal haben sie am Ende gesagt: Nein, das Lied erfüllt nicht dem Vorwurf.


Kapitel 3: PRIVAT

W: Wie wirst du politisiert worden?

A: Ich bin in einem Arbeiterghetto großgeworden, ohne dass mein Vater Arbeiter war. Da wohnten die ganzen Fabrikarbeiter von Mercedes Benz. Politisiert wurde ich durch die linken Hippies auf unserer Schule, kombiniert mit der Energie von Punkrock, der mich ganz früh fasziniert hatte – da war eigentlich schnell klar wo es langgehen sollte. Wir sind auf Deutschpunk abgefahren als Deutschpunk gerade total tot war. Da kamen dann die ganzen Ami Hardcore Bands, die SPERMBIRDS waren ganz groß und TOXOPLASMA, HASS, SLIME, waren gerade wieder out. Aber das sind Bands, die uns geprägt haben. Auf dem Land waren wir ziemlich hybrid. Wir fanden auch Heavy Metal gut, alles, was so ein bisschen off Track war. Und Neonazis waren natürlich scheiße, mit denen hat man sich gekloppt. Damals gab auch es noch die echten alten Nazis, die dich vergasen wollten, wenn du mit ‘nem Mercedes-Stern an der Lederjacke rumgelaufen bist. In unseren frühen Tagen haben wir mal in der heiligen Stadthalle von Sindelfingen auf einem Bandwettbewerb mitgemacht. Nach dem Konzert waren über 80 Mercedessterne in der Tiefgarage abgebrochen. Da haben die Stadt und die mitveranstaltende Lokalzeitung von uns verlangt, dass wir uns davon distanzieren, wogegen ich mich instinktiv verwehrt habe. Da waren wir natürlich unten durch. Alles schöne Geschichten, die sich heute gut erzählen lassen. Das klingt so, als wären wir voll die coolen Rebellen. Aber damals war nix cooler oder härter. Ich will heute nicht mit jemandem tauschen, der mit grünen Haaren in Sachsen in der Kleinstadt groß wird.

W: Was waren denn sonst noch so die Bands, die euch früh beeinflusst haben?

A: Also: WIZO wurde gegründet nach einem EXPLOITED-Konzert. Das war für uns damals echt der Shit, auch wenn sie später gebasht wurden, weil sie so ein bisschen verdrogt und dumm waren, aber das war am Anfang ja nicht so. EXPLOITED war wirklich ‘ne harte, auch politisch harte Band, die damals gegen Thatcher und so waren. Sie haben halt später mit den falschen Leuten rumgekuschelt. EXPLOITED, GBH, der ganze England-Hardcore war für uns cool, aber natürlich auch Deutschpunk. Da halt speziell SLIME, HASS und extremst wichtig für unsere Entwicklung waren für uns außerdem Bands wie NORMAHL aus dem Stuttgarter Raum. Die ersten drei HASS-Platten hab‘ ich dann auch gerne auf der Gitarre nachgespielt. Ich verehre den Gitarristen [Peter „Hecktor“ Blümer; Anm. des Lektors] ja heute noch, weil der ‘ne ganz coole musikalische Sprache hat. Er kann sehr auf den Punkt spielen. Aber wir haben dann halt irgendwann lieber Heavy Metal gehört. Tja, so sind wir sozialisiert worden: als Land-Metal-Punker. Wir haben auch viel Erfolg auf dem Land gehabt. Es gibt halt mehr Sindelfingens als Berlins und wenn du den Nerv der Sindelfinger aus Schwaben triffst, dann triffst du auch den Nerv der Sindelfinger aus Rheinland-Pfalz.


W: Was waren deine letzten Konzerte, die du besuchst hast?

A: Puh, mal überlegen. Also ich war zuletzt in einem Theaterstück meiner Schwägerin…

W: Dat gildet nich!

A: Naja, wir haben ja im Sommer die Festivals gespielt und da hab‘ ich mir natürlich auch die anderen Bands angesehen…

W: Nein nein, wo bist du hingegangen und hast am Eingang Eintritt bezahlt, um eine Band zu sehen?

A: Äh, ich war das letzte Mal bei SLIME und ZSK in Stuttgart, aber dann bleibe ich auch nicht bis zum Schluss. Ich kuck, dass ich was vom Catering abkrieg‘ und dann geh‘ ich wieder.

W: Du bist offensichtlich nicht so der aktive Konzertgänger…

A: Naja, wenn ich selber mit Musik beschäftigt bin, hab‘ ich meistens keinen Kopf dafür. Da hätte ich dann sowieso wieder ‘ne Hosentasche voll Flyer dabei und komme aus dem Trott nicht raus. Deshalb gehe ich in solchen Phasen wenig auf Konzerte.

W: Ok. Themenwechsel: Woher dieser Katzenhass? Allergie? Das nicht bekommene Fahrrad? Es ist ja ein Thema, das sich wiederholt.

A: Also unser letzter Schlagzeuger, Thomas, hat einen Bauernhof und Pferdehof geerbt. Der war starker Katzenallergiker, genauso wie unser Bassist Ralf. Und ich persönlich: ich mag eigentlich Tiere – nur domestizierte Tiere nicht so gerne.

W: Aber da fallen doch die Katzen am ehesten raus, anders als Hunde zum Beispiel.

A: Naja, aber wiederum stört mich der Hype, der darum gemacht wird, wenn die Mistviecher ihren Besitzern auf der Nase rumturnen und die das dann als coole, anarchische Individualität verkaufen wollen. Da ist auch viel Mythos im Spiel. Und wenn ich den Katzenhass promote, dann ist das ja selbstverständlich nur, um den Trigger zu setzen. Ich leb jedenfalls vegetarisch und versuch gerade Veganer zu werden. Aber das ist total schwer – insbesondere aufgrund der vielen Käsesorten... Ich glaube nicht, dass der Mensch irgendwie arg was Besseres ist als jede andere Kreatur. Das beinhaltet natürlich im Umkehrschluss auch den Respekt vor dem Tier und auch ‘ne…, naja, Tierliebe vielleicht nicht gleich… (Gelächter) Aber es ist ja so: die Viecher von den Leuten spiegeln ja immer auch ihre „Besitzer“, was ich ein ganz schlimmes Wort finde, wider. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir ganz schnell schöne gemeine Dinge zu Haustieren einfallen und dann alle ganz empört sind. Unter meinen neuen Stücken gibt es auch wieder eins, bei dem ich mich lustig darüber mache, wenn wir versuchen uns mit der immer komplizierter werdenden Welt auseinanderzusetzen und dann regelmäßig immer wieder an den Punkt kommen, wo man am liebsten alles hinschmeißen würde und lieber Katzenfilme im Internet kuckt. Ein Psychologe würde das vermutlich als verklausulierte Liebeserklärung auslegen, oder? Und jetzt kommt das Schöne: Da schreibt unser Schlagzeuger doch im Band-Chat: Ich habe mir zwei Katzen geholt. (Gelächter)

W: Und, stimmte es?

A: Ja, Alex hat jetzt zwei Katzenbabies und postet immer Bilder und schreibt, dass er jetzt nicht mehr in seinem Büro an den Computer kann, weil sie immer den Mauszeiger jagt oder auf seinem Stuhl sitzt.

W: Ist doch schön. Vielleicht solltest du dir doch noch ’ne Katze anschaffen.

A: Ich? Neeneeneenee (Gelächter) Ich wohn in ‘nem alten Gebäude, da gibt’s schon genug Ungeziefer: große Wolfsspinnen, ab und zu Mäuse und Marder. Das reicht. Auf jeden Fall haben wir das zum Anlass genommen, um das Katzenhasser-Lied für die Tour auf die Setlist zu setzen.

W: Und er ist damit einverstanden.

A: Naja, er macht schon so ein Gesicht, aber bei drei Leuten ist Demokratie recht einfach.

Wir sind dann noch auf einige Punkte zu sprechen gekommen: nochmal auf Vegetarismus und Veganismus (was in Songs wie „Die letzte Sau“ und „Leichen“ behandelt wird), Bio-Lebensmittel, gesunde Ernährung (siehe „Scheissefresser“) und dass jeder „Einkaufszettel auch ein Wahlzettel ist“. Ich hätte gerne noch weiter geredet  über Politik (z.B. Lateinamerika) und Punk werden auf dem Land, oder auch über die schönsten Doppelnamen, von denen einige erst im Zusammenspiel von Vor- und Nachname ihren vollen Reiz entfalten, wie z. B. Edzard Schmidt-Jortzig, Eike Hagen Schweikhardt oder Gabriele Krone-Schmalz (Preisfrage: wofür ist sie außerdem bekannt?). Aber erstens war es ja meine Aufgabe das alles noch zu transkribieren und schließlich hatte uns der gute Axel ja nun wirklich ausführlich zu unseren Fragen Rede und Antwort gestanden. Wir hatten einen unterhaltsamen Abend und freuen uns auf den Gig in Hamburg. Ihr solltet die Chance ebenfalls nutzen!

alex d. mit linda und jan


Tourdates 2019:

09.01.: Saarbrücken, Garage                 10.01.: Heidelberg, halle2

11.01.: Stuttgart, SOLD OUT!                12.01.: Wiesbaden, Schlachthof

15.01.: Düsseldorf, Zakk                       16.01.: Köln, Live Music Hall

17.01.: Dortmund, FZW                        18.01.: Oberhausen, Turbinenhalle

19.01.: Coesfeld, Fabrik                        22.01.: Hannover, SOLD OUT!

23.01.: Hamburg, Gr. Freiheit 36            24.01.: Berlin, Astra

25.01.: Leipzig, Werk2                          26.01.: Dresden, Kraftwerk Mitte

29.01.: Wolfsburg, Hallenbad                30.01.: Osnabrück, Rosenhof

31.01.: Bremen, Schlachthof                 01.02.: Rostock, M.A.U. Club

02.02.: Kiel, MAX                                 05.02.: Jena, F-Haus

06.02.: Fulda, Kreuz                             07.02.: Nürnberg, Löwensaal

08.02.: Würzburg, Posthalle                  09.02.: Regensburg, Airport

12.02.: AT-Lendorf, Kultursaal               13.02.: AT-Wien, SOLD OUT!

14.02.: AT-Graz, Orpheum                    15.02.: AT-Wien, SOLD OUT!

16.02.: München, SOLD OUT!               19.02.: Ingolstadt, Neun

20.02.: IT-Bruneck, UFO                       21.02.: Lindau, Club Vaudeville

22.02.: CH-Zürich, Volkshaus                23.02.: Stuttgart, LKA, ZUSATZKONZERT!